Wie war das, vor hundert Jahren ein Kind zu sein?

Wie war das, vor hundert Jahren ein Kind zu sein?
Das ABC wurde mit Griffeln auf Schiefertafeln geübt. / Bild: Gertrud Lehmann (glh)
Langnau: Das Leben der Kinder vor 100 Jahren war geprägt von Arbeit, Disziplin und Religion. Eine Ausstellung im Regionalmuseum fängt den damaligen Alltag mit Bildern und Gegenständen ein.

Unvorstellbar für heutige Generationen: Kein Fernseher, kein Computer, kein Telefon, kein Auto – absolut nichts, um sich zu zerstreuen. Wie haben die Kinder damals überlebt?

Die Sonderausstellung ist in fünf mit unterschiedlichen Farben gekennzeichnete Themen unterteilt: Erziehung, Schule, Spiele, Kleider und Tod. Gegenstände und Bilder, aber auch knapp gehaltene Hinweistafeln erzählen von einer Zeit, die 100 und mehr Jahre zurückliegt. Aus Sicht eines Kindes unendlich lang, in den Augen der Grosseltern jedoch noch mit einem Hauch von Erinnerungen behaftet. Erzählungen, Fotos, verstaubte Gegenstände und Kleidungsstücke aus dem Nachlass ihrer Eltern kommen ihnen in den Sinn. Jedenfalls könnte ein Besuch im Museum die Gelegenheit sein, den Grosskindern Geschichten zu erzählen, die in keinem Märchenbuch stehen.

Kinder mussten arbeiten

Die Familien von damals waren fast ausnahmslos kinderreich und arm. Nicht selten waren zehn und mehr kleine Mäuler zu stopfen – und das ohne Sozialhilfe oder Zulagen. Da war bei aller Liebe kein Verwöhnen möglich, das Geld musste streng eingeteilt werden. Kinder halfen bei der Arbeit in Feld und Stall, manche auch in den Fabriken, und Mädchen hüteten die kleineren Geschwister. 

Kleider wurden geflickt, abgeändert und von einem zum anderen weitergereicht und ausgetragen. Mädchen in Hosen waren selbst im Winter unvorstellbar, gross in Mode waren Matrosenkleider mit eckigen Kragen. Säuglinge wurden «gefäschet», das heisst, wie in einem Kokon fest eingewickelt, damit die Glieder gerade wüchsen.Spielsachen wurden damals selbst hergestellt, meist aus Holz. Ohnehin war das Spielen seit der Reformation verpönt; Kinder mussten wie kleine Erwachsene sein. Die Erziehung war streng, man glaubte dem Kind für das spätere Leben Disziplin, Gehorsam und Selbstbeherrschung beibringen zu müssen. Das taten Eltern wie auch Lehrer oft mit Hilfe eines Haselstocks. Zeugen unbarmherziger Moralvorstellungen sind die gezeigten «Münchner Bilderbogen» und die Bildergeschichten von Wilhelm Busch. Eher versöhnlich und romantisch wirkt dagegen die Bilderwelt des Malers Albert Anker.

Hauptfach Religion

In der Schule wurde nebst Lesen und Schreiben – damals noch in Altdeutscher Schrift und mit Griffeln auf Schiefertafeln – auch Rechnen gelernt. Ein Zählrahmen mit Holzkugeln half dabei. Hauptfach aber war Religion und das Auswendiglernen aus der Bibel. Die Hoffnung auf ein besseres Leben im Paradies sollte wohl die Mühsal des Alltags besser ertragen helfen. 

Hohe Sterblichkeitsrate 

Traurige Tatsache war der häufige Tod von Kindern, auch davon berichtet die Ausstellung. Die Säuglingssterblichkeit war hoch, weil die Mütter überarbeitet und von häufigen Geburten geschwächt waren. Die oft schlecht ernährten grösseren Kinder waren Infektionskrankheiten, Hirnhautentzündung oder Tuberkulose ausgeliefert, denn Antibiotika gab es noch nicht. Daneben gab es auch wohlhabende Familien, die es sich leisten konnten, ihre Kinder vom berühmten Porträtisten Oskar Hagemann malen zu lassen. In der Ausstellung sind einige besonders hübsche Bilder zu sehen.

18.06.2020 :: Gertrud Lehmann (glh)