Die andere Seite von Corona

Ich habe es satt! Mein Gehirn spielt mir einen Streich nach dem nächsten. Jeder Kopfdruck, jedes Kratzen im Hals bleibt mir sprichwörtlich im selben stecken, weil Angst die Kehle zuschnürt. Tja, auch wenn ich mich für einigermassen intelligent halte, in Zeiten der Verunsicherung durch Corona spielen die dauernde Beschallung und sich stündlich ändernde Situation meinem Intellekt so seine Streiche. Ein Nieser oder Hüsteln, selbst ein Räuspern im öffentlichen Raum zieht Blicke auf sich. Potenzielle Attentäter werden mit dem bösen Blick auf Abstand gehalten. Selbst wenn man «nur» mit einem Heuschnupfen geplagt ist, sollte man dieser Tage nicht vor die Tür. Vorsicht ist geboten. Das Schönste allerdings sind momentan ethnologische Studien, wenn es sich ergibt.
Gespräche über die Verschwörungstheorien, eine schöner als die andere. Corona ist natürlich von einer der grossen Mächte entwickelt. Die Russen oder die Amis wollten die Chinesen dezimieren. Leider ist das Virus ganz blöd entwischt. Es kann aber auch sein, dass die Chinesen eigentlich einen Angriff auf die anderen Staaten ausüben wollten und da ist das Virus versehentlich auf dem Latrinen-Weg ins Gewässer und mit den Tieren nach Wuhan gelangt. Auch durch die digitalen Medien sausen makabere und
flache Witze. Plötzlich höre ich  etwas ganz Seltsames direkt vor mir. Zwei Frauen unterhalten sich über die Vorzüge von Corona. Positives in der Krise? Zeit miteinander verbringen und Spiele spielen ist bei ihnen ganz weit vorn. Jetzt, wo nur noch vom Virus geredet wird, da wollen sie den Fernseher nicht mehr anmachen. Sie versuchen, Normalität zu leben und erinnern sich an Tage, als sie mit den Eltern oder Grosseltern im Urlaub
waren. Zeiten ohne Fernsehen, ohne Computer oder Handy, mit Jass, Mensch ärgere dich nicht, Dog oder Monopoly. Und mein Glück wird noch gestärkt, als die beiden Damen einen Plan machen. Eine passt auf die Kinder auf und die andere geht einkaufen. Natürlich auch für die nette ältere Dame im ersten Stock. Corona macht aufmerksam, stärkt die Empathie und unser Sozialverhalten. Im Auto höre ich Wirtschaftsnachrichten. Der Schaden für verschiedene Branchen ist gross. Leider hat die Nationalbank in den letzten Jahren zu viel Geld gedruckt, um die Wirtschaft zu stützen. Nun kann sie nicht mehr helfend zur Seite springen. Welche Ironie und wieder trifft es wahrscheinlich nur die Kleinen. Um mich abzulenken, denke ich an die Frauen zurück. Vielleicht hat Corona doch noch was Gutes – einen Babyboom?

19.03.2020 :: Martina Jud