Kiosk Babylon

Kolumne:

Keine Achtzehn, aufwändiges Make-up, bunte Tücher, Turnschuhe mit Glitzerapplikationen. Sie stehen zu dritt am Kiosk vor der Kasse und diskutieren in einer mir fremden Sprache. Scheinbar sind sie in einer Sache uneins. Eine etwas ältere Kundin, Deux Piece, grau melierter Kurzhaarschnitt, schlägt in gepflegtem Englisch höflich vor, bis sich die drei Damen einig seien, könne sie ja so lange schon mal bezahlen. Ob man sie nicht vorlassen möchte. «Was bilden Sie sich eigentlich ein?», schnauzt darauf eine der drei jungen Frauen gereizt. «Denken Sie, bloss weil wir dunklere Haut haben, verstehen wir kein Deutsch? Bloss weil wir Kopftücher tragen und eine andere Sprache sprechen, sind wir nicht von hier? Denken Sie das, ja? Ich hab diese ewigen Vorurteile satt, verdammt!» Vielleicht hat sie schon den ganzen Tag schlechte Laune. Vielleicht gehört sie zu den Leuten, die Frust und ärger sammeln wie Rabattmarken. Ist das Markenbüchlein voll, wird es eingelöst.

Jetzt schaltet sich die Verkäuferin ein: Sie kenne die Dame, die kaufe hier jeden Tag ihre Zeitung, die spreche kein Deutsch und sie (die junge Frau) solle sich doch bitte im Ton mässigen, in dieser Situation sei ja wohl sie die mit den Vorurteilen.

Aber Obacht: Nun zetern die drei Freundinnen alle gleichzeitig drauflos, wechselweise in Deutsch und in dieser anderen Sprache. Das sei die Höhe, ihnen zu unterstellen, sie hätten Vorurteile, wo sie es doch wohl besser wüssten, sie würden schliesslich oft genug mit solchen konfrontiert. Die Verkäuferin, auch nicht aufs Maul gefallen, beharrt auf ihrem Standpunkt. Ein regelrechtes Wortgefecht. Dazwischen meldet sich immer wieder die ältere Dame und beteuert auf Englisch, es sei doch kein Problem, sie sei nicht in Eile, sie könne selbstverständlich warten, bis sie drankomme.

Aus sicherer Warte hinter einem Zeitungsständer verfolge ich die Szene. Solche Vorstellungen werden daheim kaum geboten. Brav und schweigend steht man Schlange, bis man an der Reihe ist, man blickt bloss diskret gehetzt mal auf die Uhr.

Ich überlege, ob ich mich mit einem helvetisch fröhlichen «Bonjour mitenang!» ins Getümmel stürzen soll, aber just in dem Moment habe ich meinen Einsatz schon verpasst. Das Trio rauscht empört davon, die ältere Dame entschuldigt sich mehrmals für ihr Vordrängen, die Verkäuferin winkt seelenruhig ab. An einem Kiosk am Hamburger Hauptbahnhof ist man sich einiges gewohnt.

Als ich drankomme, bezahle ich beiläufig meine Zeitung. Als Statist bin ich ganz gut.

27.02.2020 :: Peter Heiniger