Nebelkrähe

Kolumne:

Heute feiere ich, Fabienne Krähenbühl, das selten gesehene Sonnenlicht im Seeland. Ich sitze in meiner Wohnung auf einem Hügel im Röschtigraben, der tiefer liegt als die lange Au von Langnau und grabe hier einen Teil meiner Biographie für Sie aus:

Es begann einst, als sich die Krähe entschied, auszufliegen aus ihrem sonnendurchfluteten Langnau im Emmental und Sie sich solidarisch zu den Nebelkrähen ins Seeland gesellte. Als sie ihre Köfferchen, Kistchen, Tütchen und Rucksäckchen gepackt hatte, schaute die Langnauer Bevölkerung voller Mitleid und Trauer zu der noch sonnendurchfluteten Krähe, die allen erzählte, sie liebe ihr Emmental, doch es zähle nun mal die Liebe im Herzen. Diese wohne nun halt in Form eines Krähen-Männchens im Seeland. «Bist du sicher, dass du uns verlassen willst?», fragten die sonnengebadeten Leute, die ihr zum Abschied winkten. Ach, das mit dem Nebel sei doch nur ein Mythos, rief die voll bepackte Krähe zum Abschied. Es sei ein konservatives Denken der stolzen Emmentaler Bevölkerung und sie sollten nur an die Sommertage am See denken, während sie alle ihre Hügel anstarren würden, krähte sie weiter. Es sei dort multikulturell, somit sehr originell. Sie werde dann da wohnen , wo andere Ferien machen, sowieso sei sie näher an der Landesgrenze, also näher am Meer und noch viel mehr. Sie konnte gar nicht mehr aufhören, das Seeland anzupreisen und dessen Vorteile. Sie flog endgültig davon, der Himmel wurde von blau zu grau, mit der Navigation ihres Herzblattes schaffte sie es mühsam, ihr neues Heim durch die Nebelschwaden zu ertasten. Doch an einem seltenen Feiertag wie heute, lässt sich die ausgewanderte Krähe die Sonne auf den Bauch scheinen, lässt sich die Flügel bräunen und singt: «Oh du guldigs Sünneli!»

Wenn die Emmentaler an den übrigen 364 Tagen sich nach dem Wetter erkundigen, so pfeift sie euphorisch, wie harmonisch so ein Nebel doch sein könne. Wie romantisch es sei, ihren Kräherich zu küssen, während sie ihn im Nebel nicht erkenne. Es sei wie ein ewiges Blinddate, zwitschert sie. Und erst wie praktisch es sei, da sie dank Nebelwänden keine Vorhänge brauche. Sie macht Werbefotos von märchenhaften Nebelwäldern und meint, es komme alles viel mehr zum Leuchten im Kontrast des ewigen Graues. Noch dazu lerne man sein  inneres Licht erblicken und sehe, was wirklich zähle im Leben. So kritzle ich nun den Titel auf das Deckblatt meiner Biografie, auf dem steht in schönen Buchstaben geschrieben für Sie: «Verlassen Sie das Emmental NIE!»

06.02.2020 :: Fabienne Krähenbühl (kfl)