Auf leisen Sohlen

Leise rieselt der Schnee und ich schleiche aus dem Jahr, welches wahrscheinlich mit einem Mordsgetöse verabschiedet wird, obwohl Greta das ganze Jahr eindringlich davor gewarnt hat. Ein Blick zurück macht klar, der Lärm geht mir auf die Nerven. An
allen Ecken wird gefeilscht und es ist der vorne, der am lautesten schreit. Mir scheint, das Leben gleicht einem gruseligen Märchen – der Wolf hetzt die Meute – oder so ähnlich. Nur wer die Penetranz einer Vuvuzela an den Tag legt, wird wahrgenommen. Es zählt nicht Qualität oder Fleiss, sondern -Dezibel und Phon.

Die stillen Schaffer bleiben unerkannt, fristen ein Dasein in der Grauzone, unscheinbar. Dabei sind es diese Menschen, die für Kontinuität und das Fundament sorgen, die Bühne erschaffen, auf denen sich die Darsteller präsentieren. Aus den Reihen der Erbauer kommen oft die Genies, die Denker und Erfinder. Introvertierte Intelligenz, die sich nicht von den «Lautstarken» aufhalten lässt. Das Weltgeschehen gleicht da eher einem Silvesterakt. Kaum ist der Weihnachtsbraten verdaut, geht die Knallerei in den Strassen los. Woher kommen nur die enervierenden Knaller, die sich jedes Jahr an Lautstärke und Detonationskraft aufs Neue übertreffen. Anscheinend zählt: je lauter desto besser. Effekt, der erschreckt. Der letzte Tag des Jahres mit langer Tradition. Schon Wochen vorher wurde diskutiert, auf welches Fest man geht oder wie man das neue Jahr begrüsst. Geschmiedete Pläne sowie die Liste mit guten Vorsätzen im Gepäck, geht es los. Man isst Fondue oder stürzt sich ins Getümmel, bevor man sich gegen Mitternacht in den Armen liegt und dann hinauszieht. Was früher dazu diente, böse Geister zu vertreiben, artet heute in manchen Strassenzügen zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen aus. Nicht nur wegen des Geräuschpegels. Auch in Sachen Raketen und Lichterzauber konkurriert der eine oder andere mit dem Nachbarn und buhlt um die Aufmerksamkeit derjenigen, die als Zuschauer auf die Strassen gehen.

Effekthascherei an allen Orten. Ohne mich. Meine lieben Wünsche für das neue Jahr sind alle formuliert in den Briefkästen gelandet oder per E-Mail verschickt. Den Abend geniesse ich mit Familie und Freunden, gemütlich. Keine Musik, kein Tam Tam. Bin ich müde, gehe ich ins Bett, halte kurz eine Rückschau und freue mich auf den nächsten Tag. Ich halte mich an den Physiker Lichtenberg und zitiere: Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird, aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es gut werden soll.

27.12.2019 :: Martina Jud