Gepflanzt in einer grausamen Zeit – ein Mahnmal bis heute

Gepflanzt in einer grausamen Zeit – ein Mahnmal bis heute
Biglen: Es herrschten stürmische Zeiten, als vor hundert Jahren auf dem Enetbachberg ob Biglen eine Friedenslinde gepflanzt wurde. Seither trotzt sie jedem Sturm und dient als Mahnmal.

Imposant steht sie da. Die hundertjährige Linde auf der Anhöhe Enetbachberg, am südlichen Zipfel des ausgedehnten Waldes. Der morgentliche Nebel lüftet sich und gewährt eine tolle Aussicht auf das Dorf Biglen und die umliegenden Täler, wo einem unter anderem das Schloss Wyl ins Auge fällt.

Man sieht dem Baum nicht nur der schieren Grösse wgen seine hundert Jahre an. Sattes Grün beweist seine Vitalität, aber auch abgestorbene, dürre äste sind zu erkennen. Höhen und Tiefen wie in jedem Leben.

«Wie wär’s?»

Dass die Linde dort steht ist der Initiative des Schweizer Heimatschutzes zu verdanken, wie Matthias Keller, pensionierter Lehrer, herausgefunden hat. «Die Organisation wollte nach dem Ende des ersten Weltkrieges die Schweiz zu einen, weil die Deutschschweizer mit Deutschland sympathisierten und die Romands mit Frankreich.» In der Zeitschrift «Heimatschutz – Patrimoine» war zu lesen: «Wie wär’s ihr Schweizer Heimatschützler aus allen Gauen des Landes: Romands, Alemannen, Tessiner Brüder und Rätier, wenn ihr aus dem heissen Gefühl des stillen Dankes für die wunderbare Errettung der Schweiz aus der sie umbrandenden Kriegsgefahr, nach vier endlosen, entsetzlichen Jahren der Not und des Bangens, euch zusammenschliesset, um in allen Dörfern (…) an einer schönen Stelle zur Erinnerung an das werdende Friedensjahr eine Linde zu pflanzen.» Der Gemeinderat Biglen nahm den Gedanken wohlwollend auf, beziehungsweise leitete die Anregung an den damaligen Verkehrs- und Verschönerungsverein weiter. Wann genau auf dem Land der Bauernfamilie Gerber der junge Baum gepflanzt wurde, ist aus den Unterlagen, welche Matthias Keller zusammengetragen hat, nicht ersichtlich. Klar ist aber, dass es der Gemeinderat mit der Friedenslinde ernst meinte. 1921 hat er unter der Leitung von Vizepräsident Friedrich Spichiger, Nationalrat und Bigla-Gründer, einen Dienstbarkeitsvertrag mit den Landbesitzern ausgearbeitet. In dem Papier wurde vereinbart, die Friedenslinde an der Stelle «dauernd zu belassen». Weiter ist zu lesen: «Sollte indessen der Baum infolge Alter oder aus anderen Gründen abgehen oder gefällt werden müssen, so geht das Holz unentgeltlich in das Eigentum der Gebrüder Gerber über. Diese sind jedoch verpflichtet, am gleichen Platze eine neue Linde oder einen anderen Baum einer ähnlicher Holzart anzupflanzen.» Als einmalige Entschädigung erhielten die Landbesitzer 150 Franken.

So kam es, dass die Linde noch heute im Grundbuch als Last eingetragen ist: «Pflanzrecht einer Linde zugunsten der Einwohnergemeinde Biglen» – und viele Wanderer durch ihren Anblick erfreut.

Treffpunkt für alle

Für Matthias Keller ist der Ort mehr als eine Erinnerung ans Ende des ersten Weltkrieges. «Es ist ein Kraftort, welcher verschiedenste Leute anzieht. Die Neuntklässler feiern dort oben den Abschluss der Schule, Verliebte treffen sich dort, es gab aber auch Probleme mit Kiffern und Abfall, welcher liegengelassen wird.»

Der Verkehrs- und Verschönerungsverein Biglen und Umgebung hat damals noch an einer zweiten Stelle eine Friedenslinde gepflanzt hat. Matthias Keller hat nämlich Dokumente des Vereins gefunden, in denen von «den beiden Friedenslinden» die Rede war. Die zweite habe sich auf der Anhöhe Agerist bei Arni befunden. Tatsächlich steht dort noch heute eine Linde.

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurde eine ganze Reihe an Friedenslinden gepflanzt. Der Brauch, nach schlimmen Ereignissen eine Linde zu setzten ist in ganz Europa bekannt. Schon im Mittelalter. Ein Mahnmal in Form eines Baumes zu errichten hatte auch sehr praktische Gründe: Bronze oder Marmor waren in der Zeit rar und teuer – der Baum hingegen kostengünstig.

Bigla arbeitete für die Armee

Obwohl die Schweiz vom Krieg weitgehend verschont blieb, herrschte auch hierzulande grosse Not. Grundnahrungsmittel wie Brot, Kartoffeln oder Milch waren zeitweise rationiert, wegen der Grenzbesetzung waren tausende Männer monatelang nicht zu Hause, wirtschaftlich stürzte die Schweiz in eine Krise. Die Gemeinde Biglen war direkt betroffen, etwa bei der 1904 gegründeten Spichiger & Cie Eisenmöbelfabrik Biglen (später Bigla). «Materialmangel und Absatzschwierigkeiten bedingten tiefgreifende Umstellungen. Die Firma war genötigt, für die Armee und das Ausland neue Artikel herzustellen, so dass sich ein etwas hektischer Aufschwung ergab», steht in der Chronik 50 Jahre Bigla 1904–1954.

«Nebst dem Weltkrieg, welcher grausam war wie kein Krieg zuvor, gab es weitere Ereignisse, welche die Menschen in Atem hielten», zeigt der pensionierte Lehrer auf. «1917 brach die russische Revolution aus, 1918 wütete die gefährliche spanische Grippe und die Bauern waren von der Maul- und Klauenseuche die ihr Vieh dahinraffte.»

Die Linde ist auch ein Mahnmal an die heutige Zeit. «Was bedeutet Frieden?», wirft Matthias Keller die Frage auf. «Sind wir auch mitverantwortlich für all die Kriege in der Welt?», lautet eine weitere.

In der Ausschreibung des Heimatschutzes hiess es vor hundert Jahren weiter: «Wie würden nach vielen Jahren noch die Augen der Greise leuchten, wenn sie in einem friedsamern und vertrauensvoller gewordenen Zeitalter den Enkeln davon erzählen dürften, wie sie selber den Schattenspender haben pflanzen helfen, als der Weltbrand in Schutt und Asche zerfallen?» Nun, Personen, die bei der Pflanzung der Linde die Schaufel ergriffen haben, werden bei der Feier im August (siehe Kasten) freilich keine mehr dabei sein – kein Grund, nicht bei der Friedenslinde innezuhalten.

Eine Feier zu Ehren der 100-jährigen Linde
Am 12. August wird die Friedenslinde erstmals eine offizielle Gedenkfeier erleben. Die Kirchgemeinde hält an dem Sonntag dort ihren Gottesdienst ab, auch die Einwohnergemeinde Biglen beteiligt sich. Die Besucherinnen und Besucher, welche gut zu Fuss sind, werden um 9.00 Uhr vom Dorf zur Linde wandern. Mitwirken werden nebst der Musikgesellschaft Biglen und dem Klezmer Orchester Fredy Zaugg auch die örtliche Trachtengruppe. Angedacht ist, dass die Trachtengruppe und die Besucher um die Friedenslinde herum tanzen.
24.05.2018 :: Bruno Zürcher (zue)