Müssen die Geschichtsbücher umgeschrieben werden?

Müssen die Geschichtsbücher  umgeschrieben werden?
Emmental: Die eben entdeckte Burgstelle bei Rüderswil vermag die Anfänge der Besiedelung zu erhellen. Ist das Emmental zu Unrecht ein «weisser Fleck», was die römische Zeit betrifft?

Die Lage will so gar nicht zur Vorstellung passen, die man gemeinhin von einer Burg hat. Eine solche hat hoch über dem Umland zu thronen, um anrückende Feinde möglichst früh erkennen zu können. Das Plateau im Rüderswilfeld aber, liegt unter dem Dorf nahe dem Emme-Ufer. Die Lage unterscheide sich auch von den beiden bereits bekannten Burgstellen in der Gemeinde Rüderswil, erklärt Jonas Glanzmann, der sich seit Jahren mit der Frühgeschichte des Emmentals befasst. «Sie ist zudem älter.» Er datiert die Burgstelle ins Früh- oder Hochmittelalter, was bei einer Begehung mit dem Archäologischen Dienst bestätigt wurde.
Glanzmanns Hypothese reicht weiter; weiter zurück in der Geschichte. Um klar zu stellen: Der Forscher hat an der Stelle nicht etwa Speerspitzen oder Schwerter römischer Legionäre gefunden. Ausgrabungen fanden dort keine statt und werden auch nicht stattfinden. Auf dem Hügel, der von einem Graben und einer Palisade umgeben war, stand eine kleine, hölzerne Behausung – das gesamte Baumaterial ist längst verrottet. Erhalten geblieben ist der Ansatz der Erhebung. «Durch das Beackern über all die Jahrhunderte ist das Gelände stark abgeschliffen», sagt Glanzmann.
Bebaut wird die Wiese noch heute. «Wir haben uns beim Heuen schon oft gefragt, warum es hier so eine Einbuchtung hat», erklärt Bäuerin Ursula Schüpbach-Jutzi.

Wichtige Land- und Wasserwege

Dafür, dass dieser Ort bereits zu römischer Zeit genutzt wurde, sprechen laut Glanzmann mehrere Gründe. «Von hier aus konnte einerseits die Emme überblickt werden, welche zum Flössen benutzt wurde. Holz war durch die römische Besiedlung im Aaretal ein sehr gefragter Artikel», erklärt Glanzmann. «Zum andern konnte von dieser Siedlung auch eine wichtige Strassenverbindung kontrolliert werden.» Der Weg von Lützelflüh über die Emme nach Signau führte etwas oberhalb der entdeckten Burgstelle durch. Dieser Weg sei bereits in der karolingischen Zeit (8. Jahrhundert) begangen worden, als Verbindung ins Berner Oberland. «Entlang dieser Route befinden sich mehrere früh- bis hochmittelalterliche Objekte», hält Glanzmann in seinem Beschrieb fest, in dem er diverse historische Schriftstücke und Karten zitiert hat. Es sei auch kein Zufall, dass die heutigen Dörfer Rüderswil und Lauperswil entlang dieser Routen entstanden seien.
In einer anderen Forschungsarbeit konnte er ein weiteres Stück dieser Nord-Süd-Verbindung nachweisen. Im Gebiet Fürten führte ein Weg über die Grüne. «Die Verbindung, welche übergeordnet die Gebiete Langenthal und Thun verband, war für die hiesigen Adligen wichtig, weil diese auch Handel betrieben», sagt Jonas Glanzmann.

Ein eher zufälliger Fund

Der Forscher stiess auf die Burgstelle im Rüderswilfeld per Zufall. Er hatte vor, die Anfänge der Rüderswiler Kirche zu erforschen. Er vermutet dort römische Spuren, zumal bei der benachbarten Kirche in Lauperswil einige Funde aus dieser Zeit gemacht werden konnten. Nachweisen konnte er diese in Rüderswil (noch) nicht.
Aber auch mit der entdeckten Burgstelle muss die Geschichte Rüderswils hinterfragt werden. Bislang galt ein Dokument aus dem Jahr 1139 als ältester Beweis für die Besiedelung Rüderswils. Etwas später taucht in Dokumenten ein Ritter namens «Adal­bertus de Rudreswilare» auf. Die Burgstelle im Rüderswilfeld scheint früher, zu Zeiten der alemannischen Besiedlung, ihre Anfänge zu haben – «lebten dort die Vorfahren dieses Geschlechts?», fragt sich Glanzmann. Er ist überzeugt, dass im Emmental mehr Spuren bis hin zu den Römern zu finden wären. «Die Hinweise auf eine römische Präsenz im Emmental verdichten sich immer mehr.»

Keine eindeutigen Funde
Ist das Emmental auf den Karten, welche die Ausbreitung der Römer zeigen, zu Unrecht ein weisser Fleck? «Wir sind sehr vorsichtig», meint Armand Baeriswyl, Leiter Archäologische Untersuchungen des Kantons Bern. Er bestätigt, dass das Emmental in früheren Jahrzehnten nicht so eng betreut worden sei wie andere Gebiete. «Es ist aber so, dass es bislang keine Funde gibt, die etwa einen römischen Gutshof belegen – anders als im Aaretal oder im Seeland.» Baeriswyl hält es für durchaus möglich, dass im Emmental temporäre römische Kolonien bestanden haben. «Es gibt im Emmental einige Lagen, welche dafür absolut geeignet wären», hält Armand Baeriswyl fest. «Aber wie gesagt, es gibt bislang nur sehr dürftige Funde, wie etwa Scherben.»  
Auch die darauffolgende Epoche, die alemannische Besiedlung, ist für das Emmental nur dünn belegt. «Ganz typisch sind Grabfelder aus dem 6. bis 8. Jahrhundert», hält Armand Baeriswyl fest. Solche seien einzig am Rand des Emmentals nachgewiesen. «In Grosshöchstetten sind kürzlich während Bauarbeiten bei der Kirche solche Gräber entdeckt worden.»
26.05.2016 :: Bruno Zürcher (zue)